Wieso die Paula so ist, wie sie nun mal ist. (Paula Ramsey, ehemals Richter)

  • Paula Ramsey, ehemals Richter.


    „Mein 12. Geburtstag also…“ dachte ich, als mein Radiowecker mich mit dem neusten vom neusten versorgte; dem Song Just Dance von Lady Gaga. Aber nach Tanzen war mir nicht zumute. Es war 2009, ein verrücktes Jahr für eine nun mehr 12-Jährige. Widerwillig quälte ich mich aus meinem Bett, da ich wusste was mich heute erwartete. Es war genau nichts.

    Vor 5 Tagen fing das neue Schuljahr an. Die selbe Schule, die selben Leute. Das würde also die 7. Klasse sein. Da ich jedes Jahr ein paar Tage nach dem Beginn des neuen Schuljahres Geburtstag hatte, war ich immer die Jüngste. Fluch und Segen zugleich, wie ich später merkte.


    Ich zog mir die Kleidung von gestern an, war ja noch fast frisch. Außerdem würde ich sonst Ärger von Mama bekommen. „Ich muss immer so viel Waschen!“, sagte sie immer mit zischender Stimme. Langsam schlenderte ich den Flur entlang, in Richtung Esszimmer. Ich wollte doch nur einen Kakao trinken, so wie jeden Morgen. Das war wie mein morgendlicher Kaffee. Als ich die Tür öffnete sprang mir meine Mutter mit einem Lächeln entgegen. Sie wusste, wie ich fröhliche Menschen am Morgen verabscheute… „Alles Gute zum Geburtstag mein Schatz!“, zog Sie mich in eine einseitige Umarmung. Auch diese Umarmung mochte ich nicht. So etwas mochte ich noch nie. „Danke...“ murmelte ich in meinen Kapuzenpullover und machte mich auf dem Weg zu meinem geliebten Kakao. „3 Löffel Pulver auf ein Glas.“, sagte ich zu mir selber. So machte ich es immer.


    Mein Vater war natürlich nicht zu Hause. Als Polizist war er oft nicht da.

    Einige kennen ihn vielleicht noch aus der Serie „Auf Streife“. Paul Richter schimpfte sich mein „Vater“. Ich schätze mal, dass er und meine Mutter mich deshalb Paula nennen wollten. Wie lustig und kaum selbstverliebt. Aber so ist mein Vater halt.


    Meinen Kakao hatte ich fertig geschlürft, ich war angezogen und stieg fröstelnd auf mein altes Fahrrad. Mein Fahrrad quietschte unter den energischen Tritten in die Pedalen, ich wollte nur schnell ankommen. Es war September, jedoch waren es bereits Grade bei denen ich gerne Zuhause geblieben wäre. Obwohl ich den zwischenzeitlichen Herbstregen immer genoss.


    Als ich kurze Zeit später an meiner Schule angekommen war, befand sich alles beim Alten. Die Leute haben sich in Gruppen auf dem Schulhof versammelt. Ich war erst kurz vor dem Klingeln angekommen, ich hatte ja auch Niemanden zu dem ich mich stellen könnte. Oder Niemanden, der mich dabei haben wollen würde. So war es, nicht mit der Norm zu gehen. Ich schlenderte mit meinen Stiefeln durch das gelbe Laub in Richtung Eingangstür, als ich die erste Kastanie an den Kopf geworfen bekam. Ich tat so als hätte ich nicht bemerkt, dass mich die Schüler und Schülerinnen von allen Seiten anschauen.

    Das war, was mir Angst bereitete. Menschen, das Gefühl aufzufallen ohne etwas dafür zu können. Das Gefühl, dass mich alle anstarren und über mich tuscheln. Es war keine normale Angst, es war wie eine Phobie. Ich ging solchen Situationen instinktiv aus dem Weg. Falls das nicht möglich war überkam mich immer dieses Gefühl. Meine Lungen zogen sich zusammen, ich bekam kaum mehr Luft. Mein Magen drehte sich um, mir wurde speiübel. Ich fing an zu glühen, zu zittern und bekam kein Wort mehr heraus.



    Wie erwartet dachte kaum jemand an meinen Geburtstag. Warum auch, außer um mir zu sagen, dass ich hätte besser nicht geboren werden sollen.


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    „Und jeden Tag das Gleiche.“ Seufzte ich vor mir hin. Seitdem ich 14 geworden bin muss ich jeden Tag in die Tagesklinik. Dort darf ich jeden Tag was anderes mit meinen "Psycho-Kollegen" erleben. Gestern mussten wir gemeinsam Muffins backen. Das sollte unseren Zusammenhalt stärken. Lustig, ein Haufen Teenies mit Problemen auf einen Schlag. Vier von uns hatten eine sogenannte Soziale Phobie. Man muss dem Kind ja auch nur einen Namen geben. So hatte ich aber wenigstens eine Erklärung dafür, warum ich so bin. Warum ich Menschen meiden muss, ihnen automatisch aus dem Weg gehe. Jeglichen Kontakt vermeide.


    „Wie stehst du denn zu deinen Eltern?“, fragte mich die pummelige Frau mit den großen dicken Brillengläsern. Eine Psychologin soll sie sein. „Wir stehen uns nicht besonders Nahe.“, presste ich mit zusammengepressten Lippen hinaus. Das war ein heikles Thema. Schon immer war das Verhältnis zu meinen Eltern eher mager. Nie bin ich zu ihnen ins Bett gekrabbelt gekommen, wenn ich Angst hatte. Lieber war ich alleine und habe das mit mir selber ausgemacht. Umarmungen und Nähe mochte ich nie. Weil ich Angst davor hatte, wie andere von mir denken würden. Auch wenn sie keinen Grund dazu hatten. Schon früh fing das alles an, dieses Unwohlsein in Gegenwart von Fremden oder auch nur teils unbekannten.


    Es kotzte mich an, immer allen aus dem Weg gehen zu müssen. Ein paar Mal musste ich schon ins Krankenhaus gebracht werden, weil ich einen Zusammenbruch hatte. Ich bekam keine Luft mehr und habe Hyperventiliert. Jeder Atemzug brannte und es war sehr anstrengend, bei dem ganzen aufgeregten Ein- und Ausatmen auch nur ein wenig Sauerstoff abzubekommen. Diese Situationen sind kein leichtes, man will aber kann nicht.


    [Weiteres folgt und keine Sorge, es bleibt nicht so deep :P ]

  • Es war mein 16. Geburtstag, eine Zumutung für mich. Nachdem ich mit 15 und dem Beginn der für mich 11. Klasse die Schule gewechselt habe fand ich in meiner neuen Klasse zwei Freunde, die mir echt guttaten. Ich ging manchmal mit ihnen unter Leute, weil sie mir Sicherheit gaben. Auch wenn ich mit ihnen nicht wirklich über meine Probleme reden konnte, gaben sie mir Halt und ich konnte mich auf sie verlassen.


    „Wir gehen feiern“, rief eine meiner neu gewonnenen Freundinnen enthusiastisch.
    Das konnte ja was werden. Ein schmieriger Club wartete auf mich, Alkohol würde unter meinen Schuhsohlen kleben, ich würde von allen Seiten angerempelt werden.


    Nachdem ich nun bereits 2 Stunden und einige Drinks lang in diesem Club verbracht habe, brauchte ich eine Pause. Von der Musik, von den Menschen, von der Atmosphäre. Ich sagte meinen Freundinnen bescheid, dass ich mich nach draußen verziehen würde. Ich drängelte mich durch die Menschenmengen und ringe nach Luft, als ich die Raucherterrasse erreichte. Mich störten die Raucher nicht, da ich selber gelegentlich rauchte. Und dabei war mir egal, was andere dachten.


    Ich schaute mich um, musterte einige Menschen und dachte darüber nach, mir irgendwo eine Zigarette zu erschnorren. Das war nicht meine Art, aber ich wollte im Moment nichts lieber als das. Ich erblickte einen Jungen, der sich gegen das Geländer der Terrasse lehnte und in die Dunkelheit starrte. Er war ganz alleine und ich dachte darüber nach, ihn nach einer Zigarette zu fragen. Langsam setzte ich einen Fuß vor den anderen und lief bereits leicht taumelnd in seine Richtung. Kurz habe ich mir vor Augen geführt, wie viel ich schon getrunken habe. Doch dann stand ich bereits hinter ihm, mein Mut verließ mich wieder. Doch er hatte mich bereits bemerkt, als ich mich gerade wieder umdrehen und abhauen wollte.


    “Gibt’s was? Du schaust mich schon die ganze Zeit so komisch an”, lächelte er mir entgegen. Vorsichtig schaute ich ihn mir von oben bis unten an. Er sah nicht älter als 17 aus, hatte kurze blonde Haare und war im Gesamten eigentlich gar nicht mein Typ. Auf die blaue Jeanshose, die in etwa der Größe für einen 12-jährigen entsprach, folgten abgelatschte Sneakers. Kurz schaute ich an mir runter, und blicke meine eigenen Treter an. Ich hatte für meine Größe viel zu große Füße, weshalb ich ebenfalls Sneakers trug. Und meine waren ebenfalls total abgelaufen. Es war eben schwer, als Frau Schuhe in einer 43 zu finden.


    Ich blickte wieder nach oben und sah ihm kurz in sein Gesicht, ich merkte dass er auf eine Antwort wartete. Bevor er sich wieder umdrehen konnte fragte ich ihn vorsichtig, ob er rauchen würde. Er musste lachen und kramte die rote Schachtel aus seiner Jackentasche. Eine große Packung, er war wohl auf viel vorbereitet heute abend.


    Er reichte mir eine Zigarette, die ich dankend annahm. Ich kramte in meinen eigenen Jackentaschen und seufzte. “Hast du vielleicht noch ein Feuer für mich?”, fragte ich während ich mich immer unwohler fühlte. Doch als er mir das Feuerzeug reichte, sich danach selber eine Zigarette anzündete und mich erwartungsvoll ansah, wurde ich neugierig.


    “Ich bin Aaron”, sagte er mit leicht brechender Stimme. Also war er noch immer im Stimmbruch. Leicht musste ich in mich hinein lachen. “Ich bin Paula”, gab ich zurück. Wenn ich gewusst hätte, dass wir noch stundenlang auf dieser Terrasse stehen und seine Schachtel allmählich killen würden, wäre ich nie auf dieses Gespräch eingegangen.


    Und so fing meine Reise an. Ich lernte Aaron kennen, einen jungen Mann den ich hätte nie kennen lernen sollen. Ich wurde immer neugieriger, wobei ich nicht viel mit Jungs am Hut hatte. Aber dieser Kerl drehte mein Leben um 180°.

  • Viel zu spät bemerkte ich, wohin das alles führte. Ich traf mich öfters mit Aaron, schnell fand ich gefallen an ihm. Obwohl er absolut nicht mein Typ war, verfiel ich ihm. Ich war geblendet von den Nettigkeiten, den Komplimenten und der Aufmerksamkeit die er mir schenkte.
    Und so fing ich an, alles für ihn zu machen, alles für ihn zu geben. Und alles für ihn aufzugeben.


    Es ging sehr schnell, sodass ich es kaum realisierte. Bevor ich mich versah, stellte Aaron mich als seine “Freundin” vor. Ich fühle mich dabei sehr gut, endlich mal von irgendwem geliebt. Doch gleichzeitig war ich mir bewusst, dass das mit uns nicht für immer halten könnte und nicht würde. Aber ich wollte “den Moment leben”, wie es mir alle immer sagten. “Paula, du musst mehr in der Gegenwart leben und aufhören immer so viel über alles zu grübeln. Du bist doch noch jung, leb das doch mal aus”. Und das tat ich nun.


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    Es war bereits einige Monate her, dass ich mit Aaron zusammen kam. Meiner Meinung nach sind wir ein gutes Team geworden, doch es gefiel mir nicht wie er manchmal mit mir redete. In einem Befehlston bei dem ich mich so hilflos fühlte. Und es ging noch weiter.


    “Wir wandern aus!”, sagte er zu mir. “Wir hauen einfach ab und fangen gemeinsam ein neues Leben an. Keine nervigen Eltern oder böse Mitschüler.. willst du das nicht auch?”


    Natürlich wollte ich ein ruhiges Leben, aber ich liebte meine Eltern doch irgendwie, obwohl sie mir so oft das Leben schwer machten. Natürlich wollte ich nicht mehr fertig gemacht werden, doch ich hatte hier auch meine wenigen Freunde die ich gerne hatte.


    Aber wie konnte ich denn Nein zu Aaron sagen? Sobald ich anfing zu überlegen, was ich jetzt sage ohne ihn sauer zu machen, setzte er wieder diesen Blick auf.
    “Bin ich es dir nicht wert? Liebst du mich nicht genug, um mit mir ein Leben anzufangen?”, zischte er hervor.


    Und ehe ich mich versah, saß ich schon im Flieger nach “Lakeside”. Ich wusste nicht wohin meine Reise ging. Ich wusste nicht, auf wen ich treffen würde. Ich wusste nur, dass wir den gleichen Nachnamen annahmen. Paula Ramsey war nun mein neuer Name. Aaron wollte dass jeder weiß, “zu wem ich gehöre.”


    Die erste Woche verlief ganz gut. Wir haben viel Geld gesammelt und ein gutes Angebot für ein Auto bekommen. Wir wollten es bei dem ansässigen Lackierer am Flughafen lackieren lassen, doch während ich eine Farbe aussuchen durfte wurden wir plötzlich von hinten überrascht.


    “Wir wollen das Auto. Dreht euch ja nicht um und nehmt die Hände hoch.” - das fing ja super an.

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